Warum bleibt die Digitalisierung, der große Umbruch, die Innovation im öffentlichen Einkauf, zu oft eine Ankündigung? Was hält Neues auf und wie schwer oder leicht wäre es, Dinge anders zu machen? Matthias Berg wirft im Interview einen ehrlichen Blick auf liegengelassene Potenziale, gefühlte Wahrheiten und überholte Formate.
Innovationen entstehen im Einkauf wie anderswo am besten in einem Dialog mit anderen. Im Fall der öffentlichen Hand also zwischen der Einrichtung und Anbietern am Markt. Matthias Berg, Leiter Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO) spricht im Interview, das er auf den BME-eLÖSUNGSTAGEN 2025 gab, davon, Vergabeverfahren zu wählen, die die Kommunikation fördern. Also eine Abkehr von klassischen Ausschreibungen mit Zuschlägen in Papierform und non-verbaler Verhandlungsmanier, hin zu Gesprächen mit dem Markt zum Beispiel während der Markterkundung. Dass öffentliche Auftraggeber mit Anbietern nicht reden dürfen, sei lediglich eine gefühlte Wahrheit, klärt Berg auf. Durchaus seien Gespräche und Kommunikation möglich, sogar erwünscht; die man allerdings anders lenken, dokumentieren und vor allem das Gebot der Gleichbehandlung sicherstellen müsse. "Das Vergaberecht wird oft als Prämisse genommen, warum ich viele Dinge nicht tun lässt. Wir haben aber eigentlich ein Vergaberecht, das sehr, sehr viele Räume zulässt."
Damit die Inhalte der Gespräche dann möglichst ergebnisreich laufen, sei es notwendig, mit einer Problemstellung auf den Markt zuzugehen und Vorschläge und einen Austausch zuzulassen, statt mit eigener detaillierter Lösungsschablone einen Umsetzer zu suchen. "Leistungsbeschreibungen wie wir sie häufig sehen sind absolute Innovationshemmer", findet Berg. Weil der Mensch naturgemäß aber in Lösungen denke, beherrschen klassische Leistungsbeschreibungen die Vergabelandschaft, dabei wären funktionale Leistungsbeschreibungen wesentlich innovationsfreundlicher.
Als strukturelle Innovationsbremse identifiziert Berg die föderalistische Struktur in Deutschland. Eine zerklüftete Regellandschaft in Deutschland mit zig eigenen Wertgrenzen und Formalien, die teilweise bis auf Kommunalebene ganz individuell aufgestellt sind, bedingt eine sehr unterschiedlichen Grad der Digitalisierung. in zentralisierteren Strukturen, wie etwa in den skandinavischen Ländern, ließen sich stärkere Momente nutzen, um Digitalisierung voranzubringen. Digitalisierung ist dabei nicht zu verstehen als die Überführung eines Briefes in ein PDF, sondern als eine ganzheitliche Betrachtung, wie man Abläufe und überhaupt Problemlösungsmethoden mithilfe digitaler Werkzeuge neu denken und aufsetzen kann. Das sei nötig angesichts der fatalen Ressourcenknappheit in der Branche. Berg wünscht sich daher Schritte zur Zentralisierung, ähnlich wie sie schon im Koalitionsvertrag angerissen werden, um eine "zentrale Transparenz der Daten" zu erhalten, sodass Hilfsmittel wie KI wirksam greifen können.
Auf das neue Vergabetransformatinspaket blickt er vorsichtig optimistisch. Zwar eröffnen neue Grenzwerte für die Direktvergabe andere Möglichkeiten, "ob das jetzt den großen Push bringt" bezweifelt der Leiter des Kompetenzzentrums Innovationen Beschaffung (KOINNO). Denn: trotz neuer Grenzwerte bleibe eine Kultur der Riskioaversion, die von Führungskräften vorgelebt wird. Statt Freiräume im Vergaberecht auszufüllen und zu nutzen, warten zu viele Einrichtungen auf ein OLG-Urteil, das diese Grauzone schwarz oder weiß färbt. Berg appelliert daher für mutige Vorbilder auf C-Level und fürs Probieren und Austesten, trial and error. So wie es die freie Wirtschaft vorlebt.
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